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Macht und Gegenmacht in den Medien

Wenn wir etwas von der Französischen Revolution und ähnlichen Ereignissen in anderen Ländern der Welt gelernt haben, dann Eines: Es darf keine Macht ohne Gegenmacht geben. Unsere Medien sind die ersten, die dieses Prinzip vertreten und sich als den Inbegriff der Gegenmacht betrachten. Wenn wir jedoch genauer hinsehen, erkennen wir, dass sie praktisch Alleinherrscher sind, ohne Gegenmacht, um Missbrauch zu verhindern. Dieses Problem wird vor allem bei der Berichterstattung über ferne Länder wie China sichtbar.

Unsere Zeitungen: Papiertiger oder allmächtige Diktatoren?

Unsere Zeitungen: Papiertiger oder allmächtige Diktatoren?

Im Namen der Meinungsfreiheit wehren sie sich gegen jeden Versuch, ihre absolute Freiheit einzuschränken. Es geht natürlich nicht darum, hier für die Wiedereinführung der Zensur zu werben. Die Medien sind eine unbedingt notwendige Gegenmacht, um die Missbräuche durch Politiker, grosse Unternehmen und andere Mächte aufzuzeigen, die lieber im Dunklen handeln würden. Zensur besteht darin, dass die Medien der Willkür der Regierung unterstellt werden, wodurch sie ihre wichtige Funktion nicht mehr erfüllen können.

So grundlegende Werte wie die bedingungslose Anerkennung des Wertes von jedem Menschenleben oder die Menschenrechte werden jedoch heutzutage selbst von unseren renommiertesten Zeitungen verraten. Da sie uns dadurch in den Augen eines Grossteils der chinesischen öffentlichen Meinung diskreditieren, ist diese Lage untragbar (siehe unsere Artikel Das Recht auf Gesundheit - Wie kann man Regierungen zur Rechenschaft ziehen?, Europa und die Menschenrechte: Die Geschichte einer stillen Amputation und Die westlichen Medien: Ein Hindernis für eine gute Beziehung mit der chinesischen öffentlichen Meinung?).

Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung und darauf, sie öffentlich auszudrücken; das steht überhaupt nicht zur Diskussion. Die meisten Zeitungen und Zeitschriften haben bekanntermassen eine politische Orientierung; die in ihren Artikel ausgedrückten Meinungen sind als nicht unbedingt "ausgeglichen"; das ist jedoch ihr gutes Recht. Wenn man hingegen seine Argumentation mit Daten und Fakten abstützt, um ihr mehr Gewicht zu verleihen, muss man diese auch korrekt benutzen. Vor allem in der Chinaberichterstattung, aber auch in vielen anderen Bereichen, wird dieser Grundsatz allzu oft mit Füssen getreten, und die Opfer haben keine Möglichkeit sich zu wehren.

Leserbriefe werden nach Gutdünken der Zeitung veröffentlicht; im Fall eines Fernsehsenders ist diese Möglichkeit nicht einmal gegeben. Ausserdem sind diese Briefe in ihrer Länge beschränkt, wodurch eine überzeugende Argumentation schwer zu bewerkstelligen ist. Das grösste Problem ist jedoch, dass die Leser an eine grosse Meinungsvielfalt gewöhnt sind. Einige dieser Briefe sind ganz klar das Werk von militanten Stimmen, die nicht unbedingt zimperlich umgehen mit den Argumenten, auf die sie sich stützen. Wenn sich unsere Medien also einmal auf einen bestimmten Blickwinkel geeinigt haben, kann niemand mehr korrigierend eingreifen, auch nicht mit grundsoliden Argumenten.

Diese Tatsache ist bekannt, scheint die Experten in diesem Bereich jedoch nicht sonderlich zu beunruhigen. Unter all denen, mit denen ich darüber diskutiert habe, scheint keiner die Möglichkeit ernsthaft zu erwägen, dass unsere Medien in all ihrer "Vielfalt" jahrzehntelang einstimmig objektiv falsche Informationen verbreiten könnten. Dies ist durch die Methode bedingt, mit der Forscher unsere Medien überwachen: Sie konfrontieren den Inhalt der Medien nie mit externen Quellen. Stattdessen analysieren sie den Inhalt der Zeitungsartikel und der Fernsehsendungen und vergleichen sie untereinander. So kann man zweifellos die Vielfalt innerhalb einer bestimmten Zeitung oder auch zwischen den verschiedenen Medien messen, das Aufspüren von systematischen Problemen ist jedoch unmöglich.

Welche Mittel bieten sich an, um dieses Problem zu lösen? Da es ausgeschlossen ist, die Medien durch die Regierung überwachen zu lassen, muss diese Aufgabe der Justiz zufallen. Eine Person, die sich geschädigt fühlt, kann schon mit der heutigen Gesetzgebung gegen eine Zeitung oder einen Fernsehsender klagen. Was ist jedoch, wenn eine Person oder eine Regierung den Eindruck hat, dass unsere Medien ein Menschenrechtskonzept verteidigen, das nicht mit den grundlegenden Texten und den internationalen Verpflichtungen des Landes übereinstimmt? Unsere Website ist voll von Beispielen, wo unsere Medien uns einstimmig jahrelang höchst problematische Informationen über unsere wichtigsten Werte, aber auch über viele ferne Länder wie China servieren.

Wir brauchen ganz klar juristische Instrumente, um solche systematischen Probleme zu unterbinden. Die erste Frage lautet: Wer kann klagen? Wenn unsere Medien die Menschenrechte amputieren, wer ist dann dadurch "geschädigt"? Ist es die ganze Menschheit? Kann jemand im Namen der "Menschheit" klagen? Falungong ist eine Sekte mit einer höchst problematischen Lehre, die in der chinesischen Gesellschaft eine grosse zerstörerische Wirkung gezeigt hat. Wenn unsere Medien sie als einen harmlosen Yogaclub darstellen, wer ist dann "geschädigt"? Muss eine Person, die persönlich durch diese Sekte gelitten hat, selber klagen, oder kann die Regierung des Landes, wo dies stattfand, es an ihrer Stelle tun?

Eine andere Frage betrifft die verhängten Strafen. Müssen die Journalisten persönlich haften, z.B. durch Gefängnisstrafen? Dies wäre meiner Meinung nach keine gute Idee. Sollten die verantwortlichen Medien zu Geldstrafen verurteilt werden? Viele westliche Zeitungen kämpfen schon für ihr Überleben oder ihre Unabhängigkeit; ihre finanzielle Lage mit dem dadurch bedingten Abbau der Auslandskorrespondenten hilft ihnen nicht gerade, die Qualität ihrer Berichterstattung zu verbessern. Die beste Lösung besteht wahrscheinlich darin, sie zu einer Richtigstellung mit einer Standardformel zu verurteilen, zum Beispiel: "Unsere Zeitung / unser Fernsehsender wurde vom Gericht in … verurteilt, da unser Artikel / unsere Sendung… vom … Informationen enthielt, von denen die Kläger belegen konnten, dass sie falsch waren. Wir möchten uns bei unseren Lesern entschuldigen und die gegebenen Informationen wie folgt richtigstellen: …"

Das grösste Problem ist jedoch nicht die Abwesenheit solch einer Gesetzgebung, sondern die Tatsache, dass angesichts der Allmacht unserer Medien niemand es wagt, die renommierten Medien zu kritisieren. Wenn jemand auf Klatsch- oder auf Gratiszeitungen herumhackt, kann er auf die Unterstützung der gehobenen Medien zählen. Letztere sind jedoch praktisch unangreifbar. Selbst Akademiker und Verlage, die genau in diesem Bereich aktiv sind, sind gelinde gesagt sehr zurückhaltend wenn es darum geht, offensichtliche Probleme aufzuzeigen. Sie riskieren nämlich, dass man ihre Artikel nicht mehr abdruckt, sie nicht mehr interviewt oder sie in keine Fernseh- oder Radiosendungen mehr einlädt. Dabei hängt die Förderung von jedem Buch, von jedem Forschungsprojekt und von jedem Forschungsinstitut von solcher Gratiswerbung ab.

Diese Furcht kann sicher zum Teil erklären, warum die Medienforscher die Berichterstattung nicht mit externen Quellen vergleichen: Sie könnten so ja auf Probleme stossen, die zu sehr kritischen Schlussfolgerungen führen müssten. Solange sie sich nur auf die Medien stützen, um eben diese Medien zu beurteilen, kommen sie automatisch zu differenzierten Ergebnissen: Einige Medien ragen durch ihre ausgeglichene Berichterstattung heraus, während andere wegen ihrer Verwendung von undifferenzierten Klischees kritisiert werden. So werden die gehobenen Medien lobend erwähnt, und gerade diese Medien werden von den Forschern gebraucht, um über ihre Projekte zu berichten (siehe unseren Artikel Was tut die akademische Forschung gegen die fragwürdigen Methoden unserer Medien?).

Um dieses abgekartete Spiel aufzubrechen, konzentrieren wir uns hier auf renommierte Zeitungen und auf Forschungsprojekte, welche die Berichterstattung über ferne Länder wie China analysieren. Deren Einwohner können sich am wenigsten gegen eine problematische Berichterstattung wehren. Dies bedeutet nicht, dass Zeitungen mit Grossauflage oder Gratiszeitungen bessere Informationen liefern, ganz im Gegenteil. Diese Medien werden jedoch von zahlreichen kritischen Stimmen im Auge behalten, während die renommierten Zeitungen ohne jegliche Gegenmacht herrschen.

Die hier vorgelegte Arbeit ist jedoch nur ein Notbehelf in der Abwesenheit von rechtlichen Mitteln, um direkt auf die Medien einzuwirken. Wenn wir die Berichterstattung unserer Medien dauerhaft verbessern und die durch vergangene Schlamperei entstandenen Schäden wiedergutmachen wollen, sind rechtliche Mittel, wie sie oben beschrieben wurden, unerlässlich.

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